01.12.2015
Deutsch für junge Profis – Zusammenfassung
(1) Feurig beginnen:
- Erster Satz muss ködern und dient nur dazu, dass der zweite Satz gelesen wird. Ist der erste Satz schlecht, stehen die Chancen gut, dass auch der Rest Müll ist.
- Wenn der 7. Satz besser ist, schmeiß alles andere weg und mach diesen zum ersten Satz.
- Schlimmster Einstieg: Binsenweisheit!
- Das Internet hat sich zum bedeutendsten Informationsmedium entwickelt
(2) 20 Sekunden, 350 Zeichen, um zu überzeugen. Anmerkung: Vermutlich sogar nur 10 Sekunden und 140 Zeichen.
(3) Anschaulich, greifbar, nicht abstrakt:
- Statt „Gewürze“: Pfeffer und Zimt
- Sogar sinnvoll, wenn der Leser das Einzelne nicht kennt: Wir gingen spazieren auf einer Bergwiese, die war bunt von Akelei, Berghähnlein, Teufelskralle und Vergissmeinnicht.
- Nicht: Die interpersonelle Kommunikation in Form von Gesprächen. == Gespräche
- Nicht: Die Stadt machte einen verwahrlosten Eindruck; besser: Der Putz war in Fladen von den Häusern gefallen, leere Flaschen und Dosen klapperten im Wind, und es stank nach Fäulnis und Urin.
- Besonders töricht: Erwartung wecken, dann nicht erfüllen.
- Morgen wird es zu ungewöhnlichen Wettererscheinungen kommen -> aber welche?
- Die Rallye-Teilnehmerin gab den Kollegen nützliche Tipps für perfektes Fahrverhalten. -> welche Tipps?
- Konkret schreiben: Der neue Roboter ist noch nicht ganz so schlau wie ein Toaster, aber doppelt so folgsam wie ein Hund.
- Faustregel: Man nennt die kleinste Einheit dessen, was man meint.
(4) Nur einen Bruchteil sagen, da anschaulicher:
- Kaum macht man mal die Glotze an, wird ein Ei aufgeschlagen.
- Der Sommer kam mit Erdbeeren, Sondermeldungen und Badewetter.
- Ich habe keine Lust mehr, bis 4 Uhr morgens über drei Erdnüsse zu verhandeln.
(5) Füllwörter streichen, manchmal als Stilmittel verwenden.
- Aufpassen vor:
- also, halt, an sich, immerhin, ausgerechnet, irgendeine, dann, irgendwie, doch, ja, durchaus, nämlich, eben, natürlich, echt, nun, eigentlich, quasi, einfach, reichlich, erheblich, sehr, freilich, sozusagen, ganz, überaus, gänzlich, überhaupt, genau, völlig, geradezu, wohl, gern, ziemlich, gewissermaßen
- irgendwie: Penetrant. Irgendwie hätte ich’s ja gern genauer gesagt, aber dann hätte ich irgendwie nachdenken müssen.
- Streichen:
- ich würde sagen, ich meine Folgendes, im Klartext, an dieser Stelle, in diesem Zusammenhang, der langen Rede kurzer Sinn, schlicht und einfach
- Nicht zu knapp. Redundanz ist erwünscht, aber nur gute Redundanz. Kein Geschwätz!
(6) Schöne Redundanz: Meine Freunde benehmen sich, als ob ich ihnen den Milchtopf umgestoßen hätte.
- Kalkulierte Redundanz, um Fakten zu vermitteln. Wiederholung zur Einprägung: Beispiele, Vergleiche.
- Kluge Redundanz: Fragen erspüren
- Wohlüberlegte Redundanz: Schlecht = Veranschaulichung vorenthalten. Gut = In Brasilien wurden letztes Jahr 70 000 Quadratkilometer Wald abgeholzt – eine Fläche so groß wie Bayern.
- Bildhaftester Ausdruck! 100-Megawatt-Kraftwerk, Beute, Klauen, ...
(7) Pfeffer und Pfiff: Auflockern, witzig schreiben, aber nicht albern. Vorsicht vor Ironie. Kurz: Witz ist willkommen. Bilder sollten stimmen. Ironie ist gefährlich.
(8) Mit Silben geizen: Yes, we can!
- Einsilbige Wörter sind besonders greifbar: Haut und Haar, Kopf und Fuß, Hand aufs Herz, Haus und Hof, Bett und Tisch, Stall und Pferd, Berg und Tal, Wald und Feld, Fluss und Meer, Eis und Schnee, Tag und Nacht.
- Keine Wortdreimaster: Wettergeschehen, Witterungsbedingungen, Bedrohungssignal, Gefährungspotenzial, Ausleseverfahren, Einflussnahme, Frontlinie, Küstenlinie, Asphaltschluchten, Einrichtungsgegenstände
(9) Verben ziehen den Leser durch den Text; sie sollten Tun beschreiben.
- keine toten Verben: liegen, sich handeln um, vorliegen, geben (es gibt), vorhanden sein, aufweisen (statt haben), sich befinden, darstellen (statt sein)
- keine passiven Tätigkeiten: erfolgen, geschehen
- keine unanschaulichen Bewegungen: durchführen, bewerkstelligen
- keine Bürokratie: verbleiben, beauskunften, bezuschussen
- keine akademischen Imponiervokabeln auf -ieren: sensibilisieren, tabuisieren, thematisieren, instrumentalisieren
- Geschmacksfrage bei Scheintätigkeit: Der Berg ruft, die Häuser ducken sich, die Bäume werfen Schatten, Bänke laden zum Verweilen ein
- gut: Verben, die Nominalstil ersetzen
- sehr gut: Bewegung motiviert am meisten: Max ist im Sandkasten (blöd: Max verweilt im Sandkasten), besser: er buddelt, gräbt, schaufelt, baggert, schippt, wühlt, krakeelt
- kein Passiv! Ist Form des Befehls. Passiv ist nur zulässig wenn: der Schreiber die handelnde Person nicht kennt (Tante Hanna ist überfallen worden), oder wenn es nur auf das Objekt ankommt (Teig wird so lange gerührt ...)
- Imperfekt/Präteritum nicht falsch verwenden! Bezeichnet eine frühere Handlung, die auf die Gegenwart keinen Einfluss mehr hat (dann zogen wir nach Wannsee um, kauften uns ein Paddelboot...). Muss im Perfekt stehen: Ich habe zehn Jahre in London gelebt (und deshalb kann ich jetzt so gut Englisch)
- Die Firma wurde 1930 gegründet = heute existiert sie nicht mehr. Gibt es sie noch: Die Firma ist 1930 gegründet worden.
- Rote Karte: (ein Thema) andenken, aufoktroyieren, kommunizieren (im Sinne von: einseitig mitteilen), nachvollziehen, sorgen für, vorprogrammieren
- Gelbe Karte: absehen (abgesehen davon), beinhalten, dislozieren, fokussieren (statt konzentrieren), generieren, implementieren, initiieren, kreieren, leben (wir müssen X leben), verraten (SPON verrät, was Sex ...)
(10) Mit Adjektiven knausern
- Nicht: situative Gegebenheiten, motivationale Voraussetzungen, suizidales Massaker, mundale Weltprobleme, universitäre Bereiche, schulische Leistung, berufliche Schulen, elterliches Haus, alpines Veilchen, kommunikative Aufgabenstellung, qualitativ hochwertig, visuelles Erscheinungsbild, proaktiv (= aktiv), provokativ (= provokant), resignativ (= resigniert), zeitgleich (= gleichzeitig), zeitnah (= bald, flott, gleich, prompt, rasch, schnell, sofort, schleunigst, umgehend, unverzüglich), zwischenzeitlich (= inzwischen, zwischendurch)
- Evtl. pralle und sinnliche Adjektive: elastisches Dorfmädchen, verschlafen, entsetzlich, gelb und mumienhaft, zahnloser Mund, breitärschiges Selbstmitleid
(11) Synonyme
- Weg damit: Domstadt, Mainmetropole, Dickhäuter. Für Substantive gibt’s keine akkuraten Synonyme. Keine Charakterisierungen (der Freizeitsegler)
- Genehmigt: Für Nebensachen sind Synonyme hocherwünscht, für Verben, Adjektive, Präpositionen.
(12) Sprachtabus: Kommt drauf an (-innen)
(13) Anglomanie: Es gibt gute deutsche Wörter
(14) Keine Modewörter, Redensarten, abgelutschte Begriffe:
- Blechlawine, das kühle Nass, Ende der Fahnenstange, Gürtel enger schnallen, Tanzbein schwingen, wie ein Kartenhaus zusammenfallen, das Handtuch werfen, ...
- aber: gute Verfremdung: Verrückt ist er nicht – aber die Tassen in seinem Schrank werden weniger
- Bemooste Textbausteine von Unternehmen: Aktivitäten, Fokus, Herausforderung, Inhalte, Innovation, Kreativität, Palette, Portfolio, Potenzial, Prozess, Segment, Spektrum, Synergie
(15) Kein Imponiergehabe, kein Einschüchterungsjargon
(16) Satzstruktur: Hauptsachen, Handlungen, Schöpfungsakte = Hauptsatz. Nebensatz nur für Betrachtungen und Erläuterungen, sonst nichts.
- Beste Wahl: angehängter Nebensatz
- Naja: Vorangestellter Nebensatz
- Nie: Eingeschobener Nebensatz
(17) Der schöne Nebensatz:
- Angehängter Nebensatz, keine Handlung. Grotesk: Am Montag bezog er das Haus, das schon drei Tage später abbrannte. Besser: Am Montag bezog er das Haus, auf das er zehn Jahre gespart hatte – und drei Tage später brannte es ab.
- Keine zweite Hauptsache und erst recht nicht die einzige Hauptsache
- Nicht verlängern oder verschachteln
- Faustregel für gesteigerten Lesefluss: Jeder dritte Hauptsatz könnte/sollte mit einem Nebensatz ausklingen.
- Kein Nominalstil (-ung, -heit, -keit)!
(18) Im Hauptsatz ist die Kraft
(19) Nach 6 Wörtern Sense: Bei zweiteiligen Tätigkeitswörtern maximal 6 Wörter dazwischen (darstellen, hat geholfen, ...)
(20) Kein Satz länger als man Luft hat. Wer tut was muss im Satz als Erstes geklärt werden.
(21) Achtung vor nach und neben! Sätze müssen wie Pfeile vorwärts kommen
(22) Abwechslung am Satzanfang:
- Umstandsangaben, Zeit und Ort, Adverbien (Zwar will er), Kausalverben (Deshalb ..., So ...)
- Mit Objekt beginnen, falls sinnvoll (Den Ausgang des Krieges in Afghanistan...) bzw. immer dann machen, wenn das Thema gewechselt wird
- Vorangestellte Nebensätze, wenn diese kurz und sinnvoll sind:
- Dass ausgerechnet mir das passieren würde, darauf wäre ich nie gekommen.
- Ob ich morgen schon fahre, weiß ich noch nicht.
- Man kann mit jeder Wortart anfangen, wenn darauf die Betonung liegen soll: Die Haare raufen könnte ich mir; Schnell bist du ja nicht gekommen; Zuhören ist wohl nicht deine Stärke; Und; Aber
(23) Alle 6 Satzzeichen verwenden: . , ; – ! ?
Spiegel Online Regeln (nach Wolf Schneider)
- Vor dem Schreiben klären: Was ist meine Geschichte? Was ist der Spin?
- Teaser maximal 270 Zeichen
- Sätze ohne Einschübe
- Verboten: Zeitliche Einstiege (nach, vor, seit), Nebensatz-Einstiege (während, weil)
- Anglizismen/Fremdwörter ersetzen
- Keine abgenutzten Sprachbilder
- Weg mit Beamtendeutsch (Kritik üben, Maßnahmen ergreifen)
- Sich selbst misstrauen. Abstand zum Text gewinnen.
Danke für dieses hilfreiche Buch.